Fünf Jahre Krieg in Syrien – Innere und regionale Dynamiken

Ein Veranstaltungsbericht unseres ehemaligen Vorstandes Matthias Dalig über unsere Veranstaltung zu Syrien am 12.07.2016. Der Bericht ist unter anderem in der Loyal erschienen.

Nach fünf Jahren Bürgerkrieg haben viele Menschen den Eindruck, den Konflikt, der gerade in Syrien tobt, kaum mehr zu durchschauen. Was als ziviler Aufstand gegen eine brutale Diktatur begann entwickelte sich im Laufe einiger Monate zu einem blutigen Konflikt zwischen der Regierung und ihren Verbündeten auf der einen, und der heterogenen Opposition auf der anderen Seite. Der zivile Aufbruch trat in den Hintergrund. Nicht nur für die syrische Bevölkerung bedeutet der Krieg eine mit Tod, Hunger und Flucht verbundene Zäsur. Auch in den angrenzenden Staaten sowie in der regionalen und internationalen Politik hat der syrische Bürgerkrieg eine Reihe von folgenreichen Dynamiken angestoßen.

Um diesen Prozessen auf den Grund zu gehen hat die Hochschulgruppe für Außen- und Sicherheitspolitik Freiburg am 12. Juli 2016 zwei junge Wissenschaftler aufs Podium geladen: Dr. Omar Sharaf von der Uni Heidelberg, sowie Dr. Benjamin Schütze, der an der Uni Freiburg und am Arnold-Bergstraesser-Institut forscht. Vor einem vollen Hörsaal boten die beiden Nahostexperten einen Einblick in unterschiedliche Dimensionen des Konflikts. Der volle Hörsaal deutet wohl nicht nur auf ein wachsendes Interesse an dieses Konfliktes hin, sondern auch auf ein großes Bedürfnis nach tiefergehender Analyse und Debatte der damit verbundenen Prozesse.

Als intimer Kenner der syrischen Gesellschaft stellte Dr. Sharaf zu Beginn knapp Hintergrund und Verlauf des Krieges vor. Beginnend bei der Unabhängigkeit 1946 zeichnete er den Wandel des politischen Systems in Syrien hin zu einer Diktatur des Assad-Klans nach, dessen erbarmungslose Kontrolle der syrischen Gesellschaft 2011 herausgefordert wurde.  Leitfrage seines Vortrages: Was ist aus der zivilen Opposition geworden? Die Antwort findet sich in der Fragmentierung des Aufstandes in verschiedene Zusammenschlüsse lokaler Oppositions- sowie externer Exilantengruppen, der Militarisierung des Aufstandes nach dem Versuch der gewaltsamen Niederschlagung durch das Regime, sowie die Islamisierung der Opposition. Letztere lasse sich unter anderem durch die Rückkehr islamistischer Kämpfer aus dem Ausland sowie die Entlassung vieler Islamisten aus syrischen Gefängnisse zu Beginn des Aufstandes erklären. Außerdem seien islamistische Oppositionsgruppen und Brigaden in deutlich größerem Maße aus dem Ausland unterstützt worden, als dies im Falle moderater Gruppen stattfand. Zudem habe der Zusammenbruch staatlicher Institutionen den Einfluss von Geistlichen auf die Gesellschaft gestärkt. Nichtsdestoweniger seien zivile Gruppen immer noch überall in Syrien aktiv – bei der Versorgung der Bevölkerung, beim Aufbau unabhängiger Medien, oder in der Bildung.

Dr. Benjamin Schütze, der die Region durch mehrere Forschungsaufenthalte kennt, zeigte am Beispiel des Nachbarlandes Jordanien drei Formen von regionalen Auswirkungen des Konflikts: Die Aufnahme der zahlreichen Flüchtlinge, die Verschiebung von Handelsrouten, sowie die Versicherheitlichung der jordanischen Politik. Neben der sozialen Herausforderung, die die syrische Emigration für die Nachbarstaaten darstellt, ist insbesondere die Verschiebung von Handelsrouten ein interessanter sekundärer Effekt des Krieges. Wurden Waren aus Europa oft über den Landweg durch über die Türkei, Syrien und Jordanien in Richtung der Golfstaaten transportiert, ist dieser Weg nun versperrt – mit Konsequenzen für die betroffenen Transitländer. Eine diskutierte Alternative wäre die Etablierung einer israelisch-jordanischen Handelsroute – ein absolutes Novum in der Nahostpolitik. Doch auch militärisch spielt der südliche Nachbar Syriens eine Schlüsselrolle: Hier findet die – in der Vergangenheit wenig erfolgreiche – Ausbildung ausgewählter syrischer Rebelleneinheiten durch die USA statt; von hier werden Waffen an die Opposition geliefert. Dr. Schütze konnte beispielsweise aus erster Hand von einem aufwändigen Zentrum zur Ausbildung von Spezialeinheiten nördlich von Amman berichten – nur ein Beispiel für US-Militärhilfe an Jordanien, die außerhalb der Kontrolle der zivilen Institutionen des Landes stattfindet.

Gegen Ende der Veranstaltung, die der Vorsitzenden der Freiburger Hochschulgruppe Matthias Dalig moderierte, wurde die Diskussion für das Publikum geöffnet. Der lebhafte Austausch drehte sich um die Rolle regionaler Großmächte, den Zerfall von Staatlichkeit, und eine mögliche Lösung des Konflikts. Dass diese wohl leider noch auf sich warten lassen würde, darüber waren sich alle einig.